Barfußwandern: So weit die

Füße tragen

Jeder Wanderer kennt die oberste Regel: Am Stiefel wird nicht gespart. Was aber, wenn gleich das ganze Schuhwerk weggelassen wird? Umso besser für Sohle, Körper und Seele, behaupten die Barfußwanderer: So kommen wir der Natur ganz nah. Unser Autor marschierte mit

Text von Uwe Rasche

Barfußwandern ist ganz leicht, sagen die, die ohne Schuhe wandern gehen. Was die Gepäckfrage betrifft, kann ich das bestätigen. Meine Stiefel, Größe 47, die bei Reisen in die Berge den Koffer schwer machen und viel Platz wegnehmen, konnte ich zu Hause lassen. Ein Paar Trekkingsandalen sollte ich aber unbedingt dabeihaben, hatte Frau Bürgi am Telefon gesagt. Für alle Fälle. Und für den Rückweg. Denn nach zwei bis drei Stunden hätten die meisten Anfängerfüße erst mal genug. Barfußwandern ist die natürlichste Art der Fortbewegung, sagen die Barfußwanderer.


Streckt her eure Füße: Entspannungsübung im Kreis (Foto von: Florian Jänicke)
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Streckt her eure Füße: Entspannungsübung im Kreis

Beim Wandern Spüren, Tasten und Fühlen

Menschen wie die Schweizer Gesundheitsmasseurin Esther Bürgi, die von Juni bis September Gruppen "unten ohne" durchs Berner Oberland führt. Nun weiß jeder seit der Pubertät, dass es mitunter die natürlichsten Sachen der Welt sind, die einen beunruhigen können. Jedenfalls kommt bei mir leichte Nervosität auf, als ich mir am Treffpunkt die Sandalen abstreife und in den Tagesrucksack stecke. Schließlich ist mir mein ganzes Wanderleben eingebläut worden, dass es eine Todsünde ist, sich ohne geeignetes Schuhwerk auf den Weg zu machen. Vielleicht hat mein Lampenfieber aber auch mit einer Bemerkung von Esther (am Berg duzen sich selbstverständlich auch Barfußwanderer) zu tun. Männer seien bei ihren Touren in der Minderheit, sagte sie, "die sind halt ein bisschen wehleidig".

Tatsächlich haben sich deutlich mehr weibliche als männliche Füße auf dem Parkplatz gegenüber dem Gasthof "Schwarzental" in Innertkirchen versammelt, wo unsere Tour auf 1369 Meter Höhe beginnen und bis auf 1850 Meter hinauf gehen soll. So wie Golfer oder Surfer untereinander gern das Equipment vergleichen, inspiziere ich die Ausrüstung meiner Mitwanderer. Alles dabei, was man von Strand, Schwimmbad und Sauna so kennt: gerade Zehen, krumme Zehen, Hornhaut, Nagelpilz, die ganze Palette. Nur ein Paar sticht heraus. Das von Esther. Füße, so drahtig und durchtrainiert, wie ich noch keine gesehen habe. Bronzefarbene Haut, seidig glänzend und gleichmäßig dick, frei von jeder Verletzung oder Verhornung - einfach unglaublich schöne Füße.


 

Etwa die Hälfte der 18 Teilnehmer ist zum ersten Mal dabei, deshalb gibt Esther eine kurze Einführung: "Tag für Tag", sagt die 47-Jährige, "quetschen wir unsere Füße in Schuhe und drängen so unserem Organismus falsche Bewegungsabläufe auf. Barfußwandern beugt Fußschäden vor, verbessert unsere motorischen Fähigkeiten und kräftigt Muskeln, Bänder und Gelenke. Es fördert die Durchblutung und härtet ab. Es ist ideal zum Spüren, Tasten und Fühlen. So werdet ihr heute automatisch langsamer gehen als sonst und deshalb alles intensiver wahrnehmen, zum Beispiel die Pflanzen. Wichtig ist, dass ihr die Füße anhebt und nicht schlurft, sonst stoßt ihr euch an Steinen oder bleibt an Wurzeln hängen. Und wenn ihr schauen wollt, auf die Berge oder in den Himmel, bleibt stehen. Denn beim Gehen müsst ihr immer darauf achten, wo ihr hintretet."

 

 

30. Mai 2016, 17:24

Barfuß gehen- ein Ganzkörpertraining

Im Sommer sind Schuhe zu warm, es ist Barfußzeit – das ist gesund, solange die Füße langsam an ihre Freiheit gewöhnt werden

Den Großteil des Jahres fristen die Füße ein sicher verwahrtes Dasein in Schuhen. Nicht aber im Sommer: Dann dürfen sie endlich ein bisschen frische Luft schnappen – am Strand im warmen Sand oder im Garten im frisch geschnittenen oder noch taufeuchten Gras.

Immer mehr Menschen wollen das Barfußgehen stärker in ihren Alltag integrieren, berichtet Christina Lindner, Podologin beim Medizinzentrum Alser Straße: "Seit einiger Zeit häufen sich bei mir die Anfragen zu dem Thema." Von einem regelrechten "Modehype" spricht auch der Linzer Orthopäde Florian Dirisamer, den vor allem Läufer konsultieren, die ihren Lieblingssport barfuß ausprobieren wollen.

Denn genauso wie gesunde Ernährung immer wichtiger wird, wollen nun viele auch etwas für ihre Fußgesundheit tun: "Immer mehr Menschen erkennen: Wenn man die Fußmuskulatur trainiert, kann man sich viele Probleme im höheren Alter ersparen", sagt Lindner.

Waldspaziergang ohne Schuhe

Jene Menschen, die aber tatsächlich ihren gesamten Alltag ganz ohne Schuhwerk bewältigen, werden wohl weiterhin zu einer Minderheit gehören. Doch im Normalfall spricht nichts dagegen, beispielsweise bei einem Waldspaziergang zwischendurch einmal die Schuhe auszuziehen.

"Durch das Erfühlen des Untergrunds wird Rückmeldung an das Gehirn gegeben, was im Bewegungsablauf passieren soll", erklärt Dirisamer. Die Fähigkeit, den Untergrund zu erfühlen, sei bei vielen Menschen verloren gegangen. "Und das Wiedererlernen davon ist für das Körperempfinden absolut positiv."

Muskulatur stärken

Besonders gut eignen sich dafür Naturböden, erklärt Lindner. Dadurch würde die Muskulatur gestärkt und das Abrollverhalten des Fußes verbessert.

Doch auch wenn wir es von Kindesbeinen an machen: Barfußgehen will gelernt sein. "Man kann den Fuß überlasten, wenn man ihm plötzlich die Bettung entzieht", warnt Dirisamer. Er empfiehlt daher vorab eine fachärztliche Beratung, um Fußfehlstellungen festzustellen.

Auch eine langsame Umgewöhnung ist wichtig: "Es geht darum, mit einfachen Dingen zu beginnen: Dem bewussten Erfühlen des Untergrunds mit geschlossenen Augen zum Beispiel", so Dirisamer. Dafür gibt es sogar eigene Barfußparks oder -pfade, wo unterschiedliche Böden gefühlt werden können. Lindner empfiehlt als begleitende Maßnahmen zum Barfußgehen Fußmuskeltraining und Beinachsentraining.

Intensität langsam steigern

Ist der Anfang gemacht, dann sollte die Intensität in geringen Schritten – also beispielsweise Fünfminutenintervallen – erhöht werden. "Und man sollte keinesfalls täglich barfuß walken oder laufen", betont Dirisamer. Denn wer es übertreibt, könnte beispielsweise eine Sehnenüberlastung oder Probleme im Waden- und Schienbeinbereich riskieren.

Klar ist: Wer plötzlich vermehrt Barfuß geht, wird seine Füße anfangs anders spüren als sonst: "Der Fuß muss sich plötzlich deutlich mehr anstrengen", sagt Lindner. Denn während er im Schuh geschützt ist, muss er sich nun an unterschiedlichen Untergrund anpassen. Ein Muskelkater in der Waden- oder Oberschenkelmuskulatur sei daher völlig normal.

Doch nicht nur Überlastungen können im schlimmsten Fall auftreten: Auch die Hornhaut auf der Fußsohle ist durch das ständige Tragen von Schuhen dünn, was Verletzungen begünstigt, warnt Dirisamer.

Vorsicht bei Diabetes

Und tatsächlich ratsam ist das Barfußgehen keineswegs für alle: Menschen mit extremen Senkspreizfüßen hat oder Knickplattfußstellungen rät der Experte daher eher davon ab.

Auch bei unterschiedlichen neurologischen Erkrankungen oder Diabetes wird zur Vorsicht geraten, da diese Patienten an eingeschränkter Sensibilität an den Fußsohlen leiden können.

Der Orthopäde führt das wachsende Interesse am Barfußgehen und -laufen auf erfolgreiche afrikanische Marathonläufer zurück, die vor ihrer – von Laufschuhherstellern gesponserten Weltkarriere – oft barfuß gelaufen sind: "Aber diese Läufer sind im Gegensatz zu uns oft ihr ganzes bisheriges Leben barfuß gegangen", warnt Dirisamer.

Thema im Breitensport

Das Barfußlaufen sei eher Thema im Breitensport: "Da gibt es Leute, die auf jeden Trend aufspringen. Das ist die wirklich gefährdete Gruppe." Ambitioniertere Läufer wiederum würden an Barfußlaufen oder -gehen weniger Interesse zeigen, weil sie ihr funktionierendes System nicht gefährden wollen.

Auch Lindner rät Laufanfängern vom Barfußlaufen ab. Die Umstellung vom unterstützten Laufschuh hin zum Leichtschuh oder sogar bis zum Zehenschuh müsse schrittweise erfolgen. Im Laufalltag sei es wichtig, immer wieder unterschiedlich stark unterstützte Schuhe zu verwenden, um dem Fuß Abwechslung zu bieten und auf das Barfußlaufen vorzubereiten.

Egal ob Gehen oder Laufen: Dirisamer erachtet den fallweisen Verzicht auf Schuhe als Trainingselement. Aber eben nur in der richtigen Dosis: "Ich sehe nämlich ein bisschen die Gefahr, von einem Extrem in das andere zu rutschen." (Franziska Zoidl, 30.5.2016)

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